Artikulationsstörungen
Artikulationsstörungen sind Abweichungen bei der Aussprache von Lauten bzw. Lautverbindungen aufgrund von sprechmotorischen Problemen. Davon sind phonologische Störungen abzugrenzen, die dazu führen, dass Laute nicht an der korrekten Position im Wort verwendet werden können. Bei Artikulationsstörungen entspricht die Lautbildung eines oder mehrerer Laute nicht dem sogenannten "Standardmuster" einer Sprache, d.h. ein Laut wird nicht oder falsch gebildet. Am häufigsten sind im Deutschen die Zischlaute davon betroffen. Diese artikulatorische Auffälligkeit wird auch als "Sigmatismus" bezeichnet und kommt in verschiedenen Ausprägungen vor.
Beispiel
"θuθi will θüθeθ Eiθ." (Susi will süßes Eis).
Im Beispielsatz werden alle s-Laute interdental gesprochen, d.h. dass die Zunge bei der Artikulation von /s/ zwischen die Zähne drückt. Bei addentaler Bildung wird die Zunge nicht zwischen aber zu nah an die Frontzähne gelegt. In jedem Fall ergibt sich ein veränderter Klang des /s/, der als „Lispeln“ wahrgenommen werden kann. Auch /sch/ wird im Deutschen oft artikulatorisch verändert.
Beispiel
"Schlon wieder ein zu schlnelles Auto."
Hier werden die /sch/-Laute lateral gebildet, d.h. Luft entweicht auch über die seitlichen Zahnreihen.
Wenn die Artikulation zusätzlich durch sprechmotorische Abweichungen anderer Laute verändert wird, oder auch insgesamt eine Tendenz für eine eher unpräzise Aussprache („Nuscheln“) besteht, können die Artikulationsstörungen zu einer Einschränkung der Verständlichkeit führen und damit die verbale Kommunikation beeinträchtigen.
Artikulationsstörungen können als primäre (Störung der Artikulationsentwicklung) und sekundäre Störungen (auf Grund von z.B. Hörstörungen oder Erkrankungen im Mundraum) auftreten. Sie können funktionelle oder neurogene Ursachen haben. Daneben können auch Missbildungen der Artikulationsorgane (z.B. Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten) zu beeinträchtigter Artikulation führen.
Am häufigsten sind funktionelle Auffälligkeiten, d.h. dass keine organischen Ursachen vorliegen, dem Kind aber die präzise Ausführung einer Artikulationsbewegung schwer fällt. Nicht selten haben die Kinder Sprechvorbilder, die eine ähnliche Aussprache haben oder sie leiden unter einer sogenannten Myofunktionellen Störung mit zu geringer Muskelspannung im Mundbereich. Meistens artikulieren Kinder die Laute nicht genau genug und üben während des Lauterwerbs ein fehlerhaftes Lautmuster ein. Je länger und intensiver ein Kind eine fehlerhafte Artikulation trainiert (automatisiert) hat, desto schwieriger kann es sein, die korrekte Zielbewegung zu erlernen und im Alltag anzuwenden. Ist die Aussprache durch Erkrankungen des peripheren oder zentralen Nervensystems - beeinträchtigt, wird die Verständlichkeit eines Kindes meist deutlicher eingeschränkt - manchmal sogar unmöglich, d.h. das Kind leidet an einer Dysarthrie/Dysarthrophonie.
Artikulationsstörungen finden sich relativ häufig bei Kindern im Spracherwerb, d.h. ca. 13,5 % der 4-6-jährigen Kinder weisen Artikulationsstörungen auf.
Meist bemerken Eltern, Kinderärzte oder z.B. Erzieher die Artikulationsauffälligkeiten bei den Kindern. Der Kinderarzt entscheidet, ob es sich um behandlungsbedürftige Abweichung von der normalen Entwicklung handelt und verordnet im Bedarfsfall logopädische Therapie.
In einer ausführlichen Anamnese und logopädischen Diagnostik mit Test- und Screeningverfahren sowie der Untersuchung von in Spielsituationen geäußerter Sprache (Spontansprache) werden die Lautbildungsfähigkeiten geprüft. Auffälligkeiten in der Spontansprache werden mit den Ergebnissen von Test- und Prüfverfahren zur Aussprache verglichen. Auch mögliche mundmotorische Einschränkungen werden abgeklärt.
Zusätzlich kann durch die Prüfung der phonematischen Diskriminationsfähigkeit (Unterscheidungsfähigkeit von Lauten, z. B. in Wörtern wie Busch, Bus, Buch) sicher gestellt werden, ob ein Kind die Laute sicher unterscheiden kann.
Ein Hörbefund durch den HNO-Arzt oder Phoniater sollte audiogene und organische Störungen ausschließen.
Die logopädische Therapie wird individuell nach den Ergebnissen der Diagnostik geplant und orientiert sich an den Fähigkeiten sowie am Alter und den Interessen eines Kindes. Zunächst lernt es seine Wahrnehmung für richtige bzw. abweichende Artikulation zu verbessern. Das Kind soll in der Lage sein, die Aussprache zunächst bei anderen Menschen dann auch bei sich selbst genau zu beurteilen. Neben der Verbesserung der auditiven Fähigkeiten wird das korrekte Lautmuster mit unterschiedlichen Methoden erarbeitet und trainiert. Ist das Kind in der Lage, einen Laut korrekt isoliert zu bilden, beginnt eine Übungsphase, in der das neue Artikulationsmuster auf verschiedenen sich steigernden Schwierigkeitsebenen automatisiert wird. Es übt die richtige Artikulation eines Lautes in Silben, Wörtern und Sätzen. Die gesamte Therapie erfolgt bei Kindern spielerisch, so dass die Motivation zur Verbesserung der Artikulation erhalten bleibt. Es kann sehr hilfreich sein, wenn die Eltern das Kind während der Therapie in Absprache mit der Therapeutin unterstützen.
Wenn sich Eltern unsicher sind, ob die Artikulation ihrer Kinder altersgemäß entwickelt ist, sollten sie mit dem behandelnden Kinderarzt darüber sprechen. Auf seine Entscheidung hin erfolgt eine Verordnung zur logopädischen Therapie, die eine ausführliche Diagnostik einschließt, und neben der genauen Untersuchung der Aussprache auch eine Beratung der Eltern beinhaltet.
Psychrembel (2011). Klinisches Wörterbuch. 262. neu bearbeitete Auflage. Berlin: De Gruyter
Weinrich, M. & Zehner, H. (2011). Phonetische und phonologische Störungen bei Kindern. Aussprachetherapie in Bewegung. Reihe: Praxiswissen Logopädie. 4. Aufl., Berlin: Springer
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