Dysarthrie
Unter einer Dysarthrie versteht man eine erworbene neurogene Sprechstörung, die durch eine Schädigung des zentralen oder des pheripheren Nervensystems verursacht wurde. Dabei sind die Steuerung und die Ausführung von Sprechbewegungen betroffen. Dies bedeutet, dass Sprechmotorik, Sprechmelodie (Prosodie), Sprechrhythmus, Stimme und Atmung in unterschiedlichem Ausmaß beeinträchtigt sind. Die schwerste Form der Dysarthrie ist die Anarthrie, hier sind die Patienten nicht mehr in der Lage Laute zu bilden, d. h. sie sind für ihre Umgebung nicht mehr zu verstehen. Der Begriff Dysarthrophonie wird oft gleichbedeutend mit dem Begriff Dysarthrie verwendet. Dysarthrophonie bedeutet wörtlich, dass sowohl die Aussprache (Artikulation) als auch die Stimme (Phonation) betroffen ist. Menschen, die ausschließlich unter einer Dysarthrie leiden, haben keine Sprachstörung. Das heißt, dass sie normal verstehen, schreiben und lesen können. Dysarthrien können aber auch gleichzeitig mit einer Aphasie (Sprachstörung) auftreten, dann sind neben der Sprechmotorik, der Stimme und der Atmung auch die Bereiche Sprachverständnis und Sprachproduktion betroffen.
Beispiel 1
Menschen mit Dysarthrie bei Parkinson sprechen oft sehr leise und monoton, sehr undeutlich und schnell, so dass der Zuhörer häufig nachfragen muss um den Sinn des Gesagten zu verstehen.
Beispiel 2
Menschen mit Dysarthrie bei spastischen Lähmungen sprechen oft mit gepresster, rauer Stimme, die Stimme klingt kloßig und nasal und die Sprechweise ist monoton und verlangsamt ("wie betrunken").
Dysarthrien sind die am häufigsten auftretenden neurologisch bedingten Kommunikationsstörungen und können sowohl bei Erwachsenen als auch bei Kindern durch ein neurologisches Krankheitsereignis verursacht werden, wie z. B. Schädel Hirn Trauma (z.B. nach einem Unfall), Schlaganfall, Parkinson, Multiple Sklerose (MS) oder Amyotrophe Lateralsklerose (ALS).
Je nach Grunderkrankung kommen Dysarthrien häufig oder sehr häufig vor. Nach einem Schlaganfall leiden 35% der Patienten in der Akutphase und 15% in der chronischen Phase an einer Dysarthrie. Bei Schädelhirntraumata schwanken die Angaben zwischen 30-50% der Patienten in der Akutphase, bei Patienten mit Parkinson kommt es in 70-90% aller Fälle zu einer Dysarthrie, bei Multipler Sklerose in 40-50% der Fälle. Bei Amyotropher Lateralsklerose (ALS), Steele-Richardson-Olszewski-Syndrom (PSP), Multisystematrophie (MSA) und bei Kleinhirn- Ataxie leiden fast 100% der Patienten an einer Dysarthrie. Bei diesen in ihrer Motorik schwer betroffenen Patienten liegt neben einer Sprechstörung meist auch eine Schluckstörung vor.
Die logopädische Diagnostik dysarthrischer Störungen umfasst zu Beginn ein ausführliches Anamnesegespräch mit dem Patienten, in dem neben der medizinischen Vorgeschichte des Patienten auch seine aktuellen Befindlichkeitsstörungen, seine Kommunikationseinschränkungen im Alltag und seine persönlichen Wünsche und Ziele für die Therapie erfragt werden. Auch Angehörige werden in dieses Anamnesegespräch einbezogen, weil eine Dysarthrie die Kommunikation zwischen Angehörigen und Patienten erschwert, und sie in Hinblick auf Möglichkeiten zur Kommunikation mit dem Patienten beraten werden können.
Der Patient wird in folgenden Bereichen untersucht: Atmung, Stimmgebung, Aussprache, Prosodie, Funktion der Sprechorgane und Kommunikationsfähigkeit im Alltag. Resultat der Untersuchung ist ein individuelles Leistungsprofil, das den Schweregrad der Störung erfasst und die Behandlungsbedürftigkeit der einzelnen Störungsgebiete ermittelt. Zur Untersuchung stehen verschiedene (z. T. standardisierte) Testverfahren zu Verfügung.
Die Befunderhebung berücksichtigt weitere evtl. vorliegende Störungen der Sprache (z.B. Aphasie) und des Sprechens (z.B. Sprechapraxie) und des Schluckens (Dysphagie), um eine Abgrenzung zur Dysarthrie zu ermöglichen. Darüber hinaus können auch apparative Verfahren zum Einsatz kommen , wie z. B. eine HNO-ärztliche oder phoniatrische Untersuchung der Sprechorgane.
Je nach Störungsprofil des Patienten wird an der Verbesserung oder Erhaltung verschiedener am Sprechen beteiligten Funktionen gearbeitet. Die klassischen Therapiebereiche sind: Atmung, Phonation, Prosodie und Artikulation. Da viele primäre Erkrankungen bei Dysarthrien degenerative Erkrankungen sind, kann nicht immer mit einer Verbesserung der Sprechfunktionen gerechnet werden. Häufig muss also kompensatorisch gearbeitet werden. Hier kommen dann elektronische Sprechhilfen und die Unterstütze Kommunikation (UK) zum Einsatz.
Als effektive logopädische Übungsbehandlung hat sich das Lee-Silverman-Voice-Treatment (LSVT®) herausgestellt. Dieses Übungsprogramm ist ursprünglich für Patienten mit Parkinson entwickelt worden und hat in mehreren randomisierten Gruppenstudien eine deutliche Zunahme der Sprechlautstärke und der Verständlichkeit ergeben. Anhaltende Therapieeffekte sind jedoch nur nach einem intensiven Behandlungsprogramm über mehrere Woche hinweg zu erzielen (vier Mal pro Woche 60 Minuten über vier Wochen, plus tägliches häusliches Üben).
Neben den Informationen durch den behandelnden Logopäden eignen sich besonders die Selbsthilfeverbände der jeweiligen Grunderkrankung, wie z. B. die Deutsche Parkinson Vereinigung e.V. (www.parkinson-vereinigung.de).
Ziegler, W., Vogel, M. (2010). Dysarthrie verstehen - untersuchen - behandeln. Stuttgart: Thieme
Geiger, A., Mefferd, A. (2007). Dysarthrie. Ein Ratgeber für Betroffene und Angehörige. Idstein: Schulz-Kirchner Verlag
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