Knowledge Base | 02.01.2025
Poltern
Poltern ist eine Störung des Redeflusses, bei der der Redefluss als zu schnell und irregulär beschrieben wird.
Es kann auch vorkommen, dass der Sprecher stellenweise gar nicht verstanden wird. Betroffene können ein eingeschränktes Störungsbewusstsein, eine geringe Aufmerksamkeitsspanne, Störungen der Wahrnehmung und der Artikulation sowie Schwierigkeiten zu formulieren haben (Weiss, 1964).
Gegenüber dem Stottern ist das Poltern eine eher unbekannte Redeflussstörung, weswegen die Diagnose häufig erst sehr spät oder gar nicht gestellt wird. Das Bewusstsein dieser Störung ist in der Gesellschaft nicht weit verbreitet ist.
Ursachen
Es wird diskutiert, ob Poltern dadurch zustande kommt, dass sprachliche Äußerungen bereits gesprochen werden, bevor ihre Planung abgeschlossen ist.
Die genauen Ursachen sind allerdings noch nicht hinreichend geklärt.
Poltern ist keine psychische Störung.
In vielen Anamnesegesprächen wurde festgestellt, dass Poltern familiär gehäuft auftritt (Weiss, 1964, Becker & Grundmann, 1970, Op’t Hof & Uys, 1974: alle in Sick, 2014), sodass auch genetische Veranlagungen diskutiert werden.
Häufigkeit
Verschiedene Studien geben die Auftretenshäufigkeit im Kindesalter mit 0,4-1,5% an (Perelló, 1970, Becker & Grundmann, 1970: alle in Sick, 2014). Aktuellere wissenschaftlich fundierte Prävalenzraten (Auftretenshäufigkeit) gibt es nicht.
Es konnte jedoch festgestellt werden, dass Poltern häufiger bei Jungen, als bei Mädchen auftritt (Becker & Sovák, 1983, Op’t Hof & Uys, 1974, Ludlow et al, 1995, Alm, 2011: alle in Sick, 2014).
Oft werden auch Mischformen von Poltern und Stottern mit unterschiedlichen Gewichtungen der beiden Störungen beobachtet.
Symptome
Poltern zeigt sich in schnellem und / oder unregelmäßig (irregulär) schwankendem Sprechtempo.
Es treten dabei folgende Symptome auf (aus Neumann et. al., 2016, S. 152):
- häufig abnorm schnelles und/oder irreguläres Sprechen, gepaart mit der Unfähigkeit, normale Laut-, Silben-, Phrasen- oder Pausenmuster aufrecht zu erhalten
- Wiederholungen von Silben, Wörtern und Satzteilen; seltener finden sich Lautwiederholungen (Dalton & Hardcastle 1989, Weiss 1967, St. Louis & Myers 1996)
- Reduktionen (Verminderungen) und Kontaminationen von Lautfolgen und Wörtern sowie Lautersetzungen und Lautveränderungen, die zusammen häufig zur Unverständlichkeit von Äußerungen führen (z. B. Chn afan fan [çn avan fa:n] = Ich bin auf der Autobahn gefahren)
- Unangepasste Intonation und Betonung (Diedrich 1984) oder monotone Sprechweise (Weiss 1964; Dalton & Hardcastle 1989; Daly 1996).
Zusätzlich können auch weitere Symptome auftreten, wie z.B.
- Fehler in der Grammatik, dem Wortschatz und der Wortfindung
- Schwierigkeiten in der sprachlichen Strukturierung (Erzählverhalten)
- Auffälligkeiten in Kommunikation und Pragmatik
(weitere Informationen in Neumann et. al., 2016).
Das Sprechen wird durch die oben beschriebenen Symptome schwer verständlich, phasenweise unverständlich.
Poltern kann sich mit dem Beginn der Pubertät verstärken.
Die meisten polternden Menschen wissen zwar, dass sie schnell und undeutlich sprechen, können ihr Sprechen in den spezifischen Sprechsituationen aber nicht kontrollieren.
Es können dadurch Sprechängste auftreten, die teilweise zum Vermeiden von Sprechsituationen führen. Einem Teil der polternden Menschen gelingt es nicht, ihre Redeinhalte für den Gesprächspartner verständlich zu strukturieren.
- Äußerungen beziehen sich inhaltlich und grammatisch nur unzureichend aufeinander und der sogenannte “rote Faden” ist nicht oder nur schwer zu erkennen
- Nebenthemen werden dabei ausführlich dargestellt, während es gleichzeitig nicht gelingt, das Hauptanliegen klar zu beschreiben.
- Neigung zum Monologisieren
- Schwierigkeiten, eigene Äußerungen umzuformulieren, wenn der Gesprächspartner diese nicht verstanden hat.
Die Symptome von Poltern sind individuell unterschiedlich gewichtet.
Eltern polternder Kinder sollten dem Erstauftreten der Symptomatik mit Gelassenheit begegnen.
Das polternde Sprechen des Kindes sollte zunächst wie normales Sprechen angenommen werden.
Wichtig ist, sich auf den Inhalt des Gesagten und nicht auf die Form zu fokussieren. Hilfreich für die Betroffenen ist es bewusst Blickkontakt zu halten und dem Kind Zeit zu geben, auszusprechen. Verbalisiert das Kind negative, sprechbezogene Gefühle oder ist verunsichert, ist es wichtig, mit ihm darüber zu sprechen und die Sprechunflüssigkeit nicht zu tabuisieren. Hält die Phase des unflüssigen Sprechens an oder verstärkt sich und reagiert das Kind negativ darauf, sollten Eltern das Gespräch mit dem Kinderarzt/ der Kinderärztin suchen. Anhand eines Leitfadens für Redeflussstörungen oder der Leitlinie für Redeflussstörungen kann dann entschieden werden, inwieweit therapeutischer Behandlungsbedarf besteht.
Wichtig für den Erfolg der Therapie ist, neben der Therapie mit dem Kind, die Elternarbeit.
Eltern sollten dazu bereit sein, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen und die Redeflussstörung ihres Kindes zu akzeptieren.
Was können Betroffene tun?
Ältere Kinder, Jugendliche und Erwachsene begleitet das Poltern meist schon über eine längere Zeit. Die ohnehin vorkommenden Schwankungen der Symptomatik können durch besondere Umstellungen im Alltag, wie Schulwechsel, Jobwechsel, Lebensereignisse wieder verstärkt werden.
Sobald Poltern in der Kommunikation und im Verhalten im Alltag als hinderlich erlebt wird, ist eine Beratung und ggf. Therapie erforderlich.
Betroffene sollten sich hierfür an eine auf Redeflussstörungen spezialisierte, logopädische/sprachtherapeutische Praxis oder Einrichtung wenden.
Die dbl-Website bietet eine gute Hilfe zur Logopädensuche, ebenso können die jeweiligen Landesverbände des dbl regionale Informationen zu geeigneten Logopäden und Logopädinnen geben. Erfahrene Stotter-/Poltertherapeuten mit Angabe ihrer Arbeitsschwerpunkte sind auch im Therapeutenverzeichnis der BVSS (Bundesvereinigung der Stotterer Selbsthilfe) vertreten. International gibt es die “International Cluttering Association” (ICA), deren Vertreter gerne angeschrieben werden können.
Literatur und Material
Sick, U. (2004). Poltern. Theoretische Grundlagen. Diagnostik und Therapie. Stuttgart: Thieme.
Die Verlinkung zur aktuellen Leitlinie zum Thema „Poltern“ finden Sie hier.
Weiteres für Fachpersonen
Literatur
Unseren Mitgliedern bieten wir alle Artikel, die seit 2002 in unserer Zeitschrift forum:logopädie zum Thema „Poltern“ veröffentlicht wurden, sowie eingereichte Abschlussarbeiten und Artikel über unsere Datenbank an. Dazu einfach einloggen und in das Suchfeld „Poltern” eintippen und auf „Dokumente filtern“ klicken. (Eingeloggte Mitglieder können alle Artikel lesen, Nicht-Mitglieder sehen von den Artikeln der letzten 2 Jahre nur die Abstracts)
Fortbildungen
Hier finden Sie alle dbl-Fortbildungen bei ProLog.
Verwenden Sie als dbl-Mitglied bei der Buchung den 1. Gutschein, der für ausgewiesene dbl-Fortbildungen eingelöst werden kann und ggf. zusätzlich den 2. Gutschein für Präsenz-/Hybridseminare bei Prolog. So sparen Sie bis zu 100€. Für Online-Seminare kann der 3.Gutschein mit einem Rabatt von bis zu 50€ eingesetzt werden. Die Gutscheine haben Sie Ende September per E-Mail erhalten.
Mitgliederportal (nur für Mitglieder)
Hier werden Fragen aus der Praxis diskutiert und Unterstützung durch Kollegen und Kolleginnen eingeholt. So ist kollegiale Beratung und praxisübergreifendes Arbeiten möglich.
Nächster Artikel der Knowledge Base:
Stottern›