Dysarthrie
Unter einer Dysarthrie versteht man eine neurogene Sprechstörung, die durch eine frühkindliche Schädigung des zentralen oder des pheripheren Nervensystems verursacht wurde, z.B. durch genetische Syndrome oder Sauerstoffmangel während der Geburt. Dabei sind die Steuerung und die Ausführung von Sprechbewegungen betroffen. Die Beweglichkeit von Lippen und Zunge ist oft eingeschränkt, die Aussprache ist meist undeutlich und verwaschen, die Stimme oft zu hoch oder zu tief, rau, heiser oder sehr schwach bis stimmlos (aphon). Es kommt häufig zu vermehrtem Speichelfluss und/oder es wird seltener geschluckt. Synonym mit dem Begriff Dysarthrie wird der Begriff Dysarthrophonie verwendet. Dysarthrophonie bedeutet wörtlich, dass sowohl die Aussprache (Artikulation) als auch die Stimme (Phonation) betroffen ist. Dabei ist eine Dysarthrie (Störung von Artikulation und Prosodie) abzugrenzen von einer reinen Artikulationsstörung, von einer Sprechapraxie (Störung des artikulatorischen Bewegungsprogramms) und einer Aphasie (Störung des Sprachsystems, u.a. Sprachverständnis oder Satzbau). Dies ist bei Kindern in der Sprachentwicklung nicht immer einfach, zumal auch Mischformen auftreten können. Dysarthrien treten bei Kindern in der Regel nur in Kombination mit verursachenden neurologischen Erkrankungen oder genetischen Syndromen auf.
Kinder mit Dysarthrie bei Down Syndrom sprechen oft sehr undeutlich und schnell, verschlucken Silben, haben einen erhöhten Speichelfluss, die Stimme ist oft sehr tief, z.T. nasal, die Prosodie monoton.
Dysarthrien bei Kindern sind durch eine frühkindliche Hirnschädigung (Cerebralparese) oder als Teil eines genetischen Syndroms (z.B. Down Syndrom, Mikrodeletion 22q11) oder durch ein neurologisches Krankheitsereignis verursacht (z.B.: Schädel Hirn Trauma (z.B. nach einem Unfall), Hirntumore, Schlaganfälle, Epilepsie, Kleinhirn- Ataxie, Enzephalitis).
Kinder mit Cerebralparese leiden zu 30-88% unter Dysarthrien. Bei diesen Kindern, die in ihrer Motorik schwer gestört sind, liegt meist neben einer Sprechstörung auch eine Schluckstörung vor. Für die zum Teil sehr seltenen genetischen Syndrome liegen keine gesicherten Prävalenzraten für das Vorkommen einer Dysarthrie vor.
Im Rahmen der logopädischen Untersuchung wird mit den Eltern ein ausführliches Anamnesegespräch geführt. Darin werden allgemeine Daten zur Entwicklung des Kindes, sowie speziell zur Bewegungsentwicklung, Sprachentwicklung, Hörentwicklung als auch zu Sozialkontakten erhoben. Medizinische Besonderheiten (z.B. Krankenhausaufenthalte) und die Kommunikationseinschränkungen im Alltag des Kindes werden erfragt.
Anschließend erfolgt nach Kontaktaufnahme der Untersucherin mit dem Kind die Untersuchung der sprechmotorischen und sprachlichen Fähigkeiten des Kindes, in der Regel zunächst über die auditive Beurteilung der gesprochenen Sprache (Spontansprache) im Freispiel.
Auf der Grundlage der Einschätzung der gesprochenen Sprache wählt die Logopädin geeignetes Testmaterial zur Überprüfung der sprechmotorischen Fertigkeiten, sowie zur Beurteilung der Sprachentwicklung aus. Die Testung kann sich über mehrere Therapieeinheiten erstrecken, je nachdem wie gut ein Kind mitarbeitet und wie umfangreich die ausgewählten Testverfahren sind. Die Befunderhebung sollte immer weitere evtl. vorliegende Störungen der Sprache (z.B. Sprachentwicklungsstörung SES) und des Sprechens (z.B. Sprechapraxie) und des Schluckens (Dysphagie) miterfragen und von einer Dysarthrie abgrenzen.
Neben diesen klinischen Untersuchungsmethoden der Logopäden kommen apparative Verfahren, wie z.B. eine HNO-ärztliche oder phoniatrische Untersuchung der Sprechorgane zum Einsatz. Bei genetischen Syndromen sollte auch eine Abklärung und Beratung durch einen Facharzt für Humangenetik erfolgen.
Je nach Schwerpunkt der Sprechstörung des Kindes wird an der Verbesserung der am Sprechen beteiligten Funktionen (Atmung, Phonation, Prosodie und Artikulation) gearbeitet. Dies geschieht häufig ganzkörperlich in spielerischen Übungen oder auf Grundlage tonusregulierender (Körperspannung) Techniken (z.B. nach Castillo Morales, Bobath, u.a.).
Da neben der Dysarthrie häufig auch eine Sprachentwicklungsstörung (SES) vorliegt, werden diese Übungen in die Sprachtherapie der SES integriert. Da einige Primärerkrankungen bei kindlichen Dysarthrien genetische Syndrome sind, sind die Behandlungen aufgrund zusätzlicher kognitiver Einschränkungen häufig sehr langwierig und müssen im Verlauf der kindlichen Entwicklung wiederholt werden. Daher ist eine gute Motivation und spielerisches Vorgehen wichtig. Teilweise muss kompensatorisch gearbeitet werden, hier kommen dann elektronische Sprechhilfen und die Unterstützte Kommunikation (UK) zum Einsatz. Als effektive logopädische Übungsbehandlung hat sich auch für Kinder das Lee-Silverman-Voice-Treatment (LSVT®) herausgestellt. Für das Down Syndrom und andere neurologische Erkrankungen liegen positive Therapiestudien vor. Anhaltende Therapieeffekte sind jedoch nur nach einem intensiven Behandlungsprogramm über mehrere Woche hinweg zu erzielen (vier Mal pro Woche 60 Minuten über vier Wochen und tägliches häusliches Üben).
Neben allgemeinen Informationen zur Sprach- und Sprechentwicklung unter www.sprich-mit-mir.org, den Informationen durch Logopäden und Ärzten in Frühförderstellen und sozialpädiatrischen Zentren eignen sich speziell auch die Selbsthilfeangebote der verschiedenen Organisationen zu genetischen Erkrankungen wie z.B. der Arbeitskreis Down Syndrom e.V. oder die Selbsthilfeinitiative Mikrodeletion 22q11, weitere Abklärung und Beratung bei der Gfh-Deutsche Gesellschaft für Humangenetik e.V..
Ziegler, W., Vogel, M. (2010). Dysarthrie verstehen - untersuchen - behandeln. Stuttgart: Thieme
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