Auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung
Auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen (AVWS), auch auditive Verarbeitungsstörungen (AVS) genannt, sind Störungen der Weiterverarbeitung gehörter Informationen. Dabei liegt weder eine Störung des Hörorgans selbst, noch eine Intelligenzminderung vor. Die Störungen betreffen den Hörnerven. Der Hörnerv leitet die Informationen an das Großhirn weiter, die dann dort weiter verarbeitet werden. Der Prozess der Weiterverarbeitung wird in auditive Teilfunktionen unterteilt, die in unterschiedlicher Art und Ausprägung betroffen sein können. Zu den auditiven Teilfunktionen gehören: Lokalisation (Richtung und Entfernung der Schallquelle), Diskrimination (Unterscheiden), Selektion (Herausfiltern) und Dichotisches Hören (beidohriges Hören).
Beispiele
- Bei einer Selektionsstörung (Herausfiltern von Information) kann beispielsweise ein Gespräch mit einer Person schwerer oder nicht mehr verfolgt werden, wenn gleichzeitig Hintergrundgeräusche, wie Verkehrslärm, zu hören sind. Kindern mit einer Selektionsstörung fällt es z.B. schwer, in der Schule bei Umgebungslärm Laute aus Wörtern herauszufiltern, d.h. sie verstehen dann nicht, was ein Lehrer sagt.
- Bei einer Störung der Diskrimination werden z.B. ähnlich klingende Laute oder Silben (z. B. /p/ - /b/ oder /pa/ - /ba/) nicht als unterschiedlich wahrgenommen. Dies kann dazu führen, dass Gesprochenes nicht verstanden oder auch mißverstanden wird.
Als Ursachen werden medizinische Faktoren oder Umwelteinflüsse vermutet. Bei den medizinischen Ursachen werden lang anhaltende Mittelohrentzündungen im frühen Kindesalter, frühkindliche Hirnschädigungen oder Hirnreifungsverzögerungen diskutiert. Ursachen können oft nur vermutet und nicht klar belegt werden. Als mögliche negative Umwelteinflüsse kommen sowohl ein Unter- (zu wenig kommunikative Beschäftigung mit dem Kind) als auch ein Überangebot (lang anhaltender Fernsehkonsum, parallele Gespräche zu Radio- oder Fernsehkonsum) an auditiven Sprachreizen in Frage.
Etwa 2-3% aller Kinder weisen Probleme mit der zentral-auditiven Verarbeitung auf. Dabei sind Jungen doppelt so häufig betroffen wie Mädchen. Häufig treten Auffälligkeiten in Zusammenhang mit Sprachstörungen auf. Es ist allerdings unklar, ob AVWS Teil einer Sprachentwicklungsstörung sind oder ein eigenständiges Störungsbild darstellen. Oft werden sie erst im Verlauf einer Sprachentwicklungsstörung bemerkt.
Nach der Sicherstellung, dass keine Schädigung des Hörorgans selbst vorliegt, können zentrale Hörtests (audiometrische Verfahren) Aufschluss über das Vorliegen einer AVWS geben. Solche Untersuchungen werden in phoniatrisch-pädaudiologischen Zentren oder bei speziell geschulten Hals-Nasen-Ohrenärzten angeboten.
Häufig eingesetzte Testverfahren sind z. B. die Sprachaudiometrie im Störgeräusch oder dichotische Diskriminationstests (beidohriges Hören). Allerdings kann nicht ein audiometrisches Verfahren allein eine sichere Diagnosestellung gewährleisten, da es jeweils nur auf einzelne oder wenige auditive Teilfunktionen ausgerichtet ist. Es ist immer erforderlich, viele unterschiedliche audiometrische Verfahren (Testbatterie) anzuwenden.
Zusätzlich zur ärztlich-pädaudiologischen Diagnostik ist eine logopädische Diagnostik durchzuführen. Dabei werden die einzelnen Teilfunktionen untersucht und Art und Schweregrad der Problematik erfasst.
Für die Behandlung sind im Regelfall 10 bis 20 Therapiestunden vorgesehen, sofern keine zusätzliche Sprachentwicklungsstörung vorliegt. Sie erfolgt ca. ein- bis zweimal wöchentlich als Einzeltherapie. Zusätzlich kann auch eine Gruppentherapie stattfinden, wobei darauf zu achten ist, dass die individuellen Schwierigkeiten des jeweiligen Kindes in der Therapie adäquat berücksichtigt werden.
Zentrale Inhalte der Behandlung sind die Beratung der Eltern und der mit dem Kind beschäftigten Pädagogen (Erzieher, Lehrer), die Modifikation der Hörumgebung (u. a. durch Berücksichtigung oder Optimierung der Raumakustik) sowie die gezielte Therapie der individuell beeinträchtigten Teilfunktionen. Sprachtherapeutische Computerprogramme können in der Behandlung unterstützend eingesetzt werden. Insbesondere für ein gezieltes Training der Selektionsfähigkeit ist dies notwendig. Der Einsatz technischer Geräte wie Ordnungsschwellentrainer, Hörwahrnehmungstrainer, Lateraltrainer oder das Hochtontraining nach Tomatis ist demgegenüber nach derzeitigem wissenschaftlichem Stand nicht empfehlenswert.
Generell ist die Wirksamkeit einer Behandlung von AVWS umstritten, da systematische, umfassende und wiederholte Studien zu Therapieverfahren fehlen. Daher sollte der Therapieerfolg durch die Logopädin kritisch reflektiert und überprüft werden. Stellt sich kein Therapieerfolg ein, steht die Anpassung an die noch bestehende Problematik im Vordergrund.
Besteht der begründete Verdacht auf eine auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung, sollten Eltern ärztlichen und logopädischen Rat suchen. Sofern eine spezielle ärztliche Untersuchung des zentralen Hörens notwendig ist, sollte frühzeitig ein Termin vereinbart werden, da viele Untersuchungszentren lange Wartelisten haben, damit jedes Kind ausführlich untersucht werden kann.
Informationen finden Eltern unter www.dgpp.de, www.stiftung-zuhoeren.de sowie www.avws-selbsthilfe.de oder in Ratgebern wie Lupberger, N. (2007). Auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung im Kindesalter: Ein Ratgeber für Betroffene, Eltern, Angehörige und Pädagogen. Idstein: Schulz-Kirchner.
- Fachorganisation:
- Institut:
- AVWS bei Kindern und Jugendlichen - Infos der Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, Uni Marburg
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