Frühförderung
Die Erbringung einer therapeutischen Leistung im Rahmen von Frühförderung fällt i.d.R. nicht in den Bereich der ambulanten Heilmittelversorgung sondern in den Bereich Rehabilitation und Teilhabe. Daher wird das nötige Heilmittel nicht auf Muster 14 verordnet sondern wird nach Diagnostik in einem Sozialpädiatrischem Zentrum in einen Förder- und Behandlungsplan aufgenommen und auf Kosten von Sozialhilfeträgern, Rentenversicherungsträgern und Krankenkassen erbracht.
Die verschiedenen Möglichkeiten der Kooperation zwischen Frühfördereinrichtungen und niedergelassenen Heilmittelerbringern sowie eine Vielzahl weiterer Informationen sind in einem Informationspapier der Bundesangestelltenkommission (BAK) enthalten.
Dieses steht hier als PDF-Dokuement zum Download bereit:
- Download: Plakat Interdisziplinäre Frühförderung (IFF)
Veröffentlichung zum dbl-Jahreskongress 2013 in Erfurt - Download: Liste Arbeitshilfen Frühförderung in Bundesländern (PDF) - Recherchestand: August 2014
- Download: Rahmenvereinbarung im Freistaat Sachsen zur Umsetzung der Verordnung zur Früherkennung und Frühförderung für Kinder mit Behinderungen und von Behinderung bedrohte Kinder (PDF)
Auswertung der "Datenerhebung zu den Leistungs- und Vergütungsstrukturen in der Frühförderung behinderter und von Behinderung bedrohter Kinder" (Engel, H. et al. 2008, Köln: Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik)
Im Zeitraum September 2006 - Dezember 2007 untersuchten Engel et al. (2008) die Frühförderlandschaft in Deutschland mit dem Ziel, Daten für die verbesserte Umsetzung der Frühförderung als Komplexleistung zur Verfügung zu stellen. Teil der Fragestellung war, inwieweit die Absicht des SGB IX, die Nachteile des gegliederten Systems der einzelnen Leistungsgesetze in seiner Eigenschaft als "funktionale Klammer" zu überwinden, umgesetzt wird und auf welchem Stand die Entwicklung der rein heilpädagogischen Frühförderstellen zu interdisziplinären Frühförderstellen ist. Dies ist erforderlich, um beide Bereiche - Heilpädagogik und medizinisch-therapeutische Leistungen - koordiniert, also als Komplexleistung erbringen zu können und damit die Inanspruchnahme dieser Leistungen zu erleichtern und zu beschleunigen. Eltern bliebe dann das Zusammensuchen von Leistungen erspart.
Dieser Vorteil für Eltern wird von niedergelassenen Therapeuten jedoch ggf. als Nachteil empfunden, da Patienten, die zuvor die Praxis dieser Heilmittelerbringer aufsuchten, womöglich nun ihre Behandlungen in der Frühförderstelle in Anspruch nehmen und der Praxis "verloren gehen". Dies führe zu Einbrüchen bei den Patientenzahlen in den Praxen, was die Existenz der Praxisinhaber gleichermaßen gefährdet wie die Arbeitsplätze der dort angestellten Logopäden. Doch ist dies wirklich der Fall? Führt die Einbeziehung medizinisch-therapeutischer Fachkräfte in Frühfördermaßnahmen wirklich zu einer wirtschaftlichen Verschlechterung niedergelassener Heilmittelerbringer und deren Angestellten?
Die vorliegende Studie liefert zur Beantwortung dieser Frage einige interessante Fakten. Erhoben wurden diese auf zwei Ebenen: zunächst gab es eine bundesweite, empirische Untersuchung, an der sich 265 Frühförderstellen und 86 Sozialpädiatrische Zentren beteiligten. Im zweiten Schritt fand eine exemplarische Vertiefung statt, die 30 Einrichtungen aus 24 Kommunen einbezog. Ausgegangen wurde von einem Versorgungsbedarf von 433.000 Kindern unter 7 Jahren; dies entspricht einer Quote von 8,6%.
Obwohl es bereits in 13 Bundesländern eine Landesrahmenvereinbarung gibt, welche die Umsetzung vor Ort regelt und somit das Angebot der Komplexleistung ermöglicht, sind 39% der Frühförderstellen in Deutschland noch immer rein heilpädagogisch ausgerichtet und bieten keine medizinisch-therapeutischen Leistungen an. Anfang 2008 war die Komplexleistung gerade mal in jeder 4. Einrichtung (~24%) umgesetzt. Nur in 21% der Einrichtungen sind alle drei medizinisch-therapeutischen Fachrichtungen festangestellt vertreten (7% Ergotherapeuten, 7% Logopäden und 14% Physiotherapeuten). In weiteren 40% der Einrichtungen finden sich immerhin 1-2 dieser Fachrichtungen. Aus diesem Grunde kooperieren viele Frühförderstellen und Sozialpädiatrische Zentren mit niedergelassenen Therapeuten, sei es vertraglich gebunden (21%) oder ohne vertragliche Bindung (75%). Selbst wenn es vertragliche Vereinbarungen gibt, fehlen dort oft Regelungen zu Arbeitsbereichen wie Supervision, Fortbildung, Teamsitzungen etc.
Diese Situation zeigt, dass die Absorbation von "Praxispatienten" durch Frühförderstellen nicht so weitreichend sein kann, wie evtl. subjektiv wahrgenommen. Gerade die so häufige Notwendigkeit der Kooperation bietet für niedergelassene Logopäden die Chance neuer Vergütungsmodelle. Gleichwohl birgt dies die Gefahr des Wertverlustes logopädischer Arbeit, da der ein oder andere Heilmittelerbringer der Versuchung erliegen mag, um des Wettbewerbs willen Vergütungsvereinbarungen unterhalb der geltenden Kassensätze abzuschließen.
Erstaunlich ist, dass gerade in spezialisierten Frühförderstellen, z.B. für Kinder mit Hör- und/oder Sprachbehinderungen, medizinisch-therapeutische Fachkräfte eine sehr untergeordnete Rolle spielen. Hier ist oft keine Komplexleistung zu finden. Das berufspolitische Bestreben muss an dieser Stelle sein, gerade für diese Kinder unbedingt logopädische Leistungen in die Frühförderung einzubeziehen.
Dort, wo medizinisch-therapeutische Behandlungen erfolgen, finden diese fast immer (96%) als Einzelbehandlung statt. Eine personelle Rationalisierung durch verstärkt angebotene Gruppentherapien ist also nicht zu beobachten. Allerdings beträgt die wöchentliche Zeit, in der die Kinder direkte Leistungen seitens der Frühförderstelle erhalten, lediglich 60 Minuten. Dies kann dem besonderen Förder- und Therapiebedarf behinderter oder von Behinderung bedrohter Kinder keinesfalls gerecht werden. Vielleicht ist das der Grund dafür, dass ca. zwei Drittel der Kinder zusätzlich (!!!) medizinisch-therapeutische Leistungen bei niedergelassenen Heilmittelerbringern in Anspruch nehmen. Auch nach dem Ende der Frühfördermaßnahme benötigen 70% der Kinder weitere Leistungen, womit insbesondere die Heilmittel Ergotherapie, Logopädie und Physiotherapie gemeint sind. Auch dies spricht deutlich gegen die mögliche Einschätzung, Kinder "verschwänden" in der Frühförderung und entgingen damit der Behandlung in therapeutischen Praxen.
Verantwortlich für die Überweisung der Patienten in die Frühförderung ist in 87% der Fälle der niedergelassene Vertragsarzt (Kinder- und Jugendarzt). Gesprächspartner für die Diskussion über die Indikation von Frühförderung beim einzelnen Kind sind also nicht die Frühförderstellen, sondern der (ehemals) verordnende Kinderarzt. Dies steht im Kontext des Vorwurfs des sogenannten "Verschiebebahnhofes" von Kindern mit ambulantem Therapiebedarf in Bereiche wie Frühförderung oder Sprachförderung.
Die durchschnittliche Wartezeit für den Beginn von Frühförderleistungen (unabhängig davon, ob es sich um heilpädagogische oder medizinisch-therapeutische Leistungen handelt) beträgt ca. 9 Wochen. Eine Unterbrechung einer evtl. bereits stattfindenden Therapie ist also planbar und könnte mithilfe entsprechender Praxisorganisation durch den niedergelassenen Therapeuten aufgefangen werden. Dies gleicht dem Procedere bei therapeutisch indizierten Therapiepausen oder 12-wöchiger Pausen zwecks Beginn eines neuen Regelfalles entsprechend der Heilmittelrichtlinien.
Wie notwendig und unentbehrlich die Logopädie in der Frühförderung ist, zeigt die folgende Feststellung von Engel et al.: Die häufigste Diagnosegruppe in der Frühförderung ist mit über 50% die Gruppe F80, also Störungen des Sprechens bzw. der Sprache. Gerade Frühförderkinder im Alter von 3-4 Jahren weisen zu 60% eine SEV auf. Auch aus Sicht der Eltern bestehen die deutlichsten Entwicklungsauffälligkeiten im Bereich der Sprache. Hierin besteht eine manifeste Rechtfertigung für die Schaffung fester Stellen in ausreichender Zahl für Logopäden im interdisziplinären Team einer Frühförderstelle. Die Befürchtung, angestellte oder kooperierende Logopäden seien in der Frühförderung verzichtbar, ist damit deutlich entkräftet. Umso selbstbewusster können Logopäden in Arbeitsvertrags- und Kooperationsverhandlungen auf die Wichtigkeit ihres Berufes hinweisen und mit Recht angemessene Vergütungsmodalitäten einfordern.
Als Fazit kann festgehalten werden: Der Deutsche Bundesverband für Logopädie muss auf berufspolitischer Ebene den Kontakt zu den Kinder- und Jugendärzten suchen, um für die Indikationen zur Veranlassung von Frühförderung zu sensibilisieren und das "budgetschonende" Abschieben von Kindern mit ambulantem Heilmittelbedarf in die Frühförderung zu beenden. Vor Ort sollten niedergelassene und angestellte Logopäden die Arbeit in der Frühförderung als Chance begreifen, und zwar sowohl im Sinne der Schaffung fester Stellen für Logopäden in Frühförderzentren als auch im Sinne weit reichender Kooperationsmöglichkeiten zwischen Frühförderstellen und Praxen. Nur so lässt sich die Logopädie als notwendige Leistung in der Frühförderung verankern.
Sebastian Brenner, B.A. (BAK), August 2008
Bereits seit vielen Jahren existieren in Deutschland regional sehr unterschiedliche Formen der Versorgung behinderter Kinder, die den Namen "Frühförderung" tragen. Diese reichten von rein heilpädagogischer Frühförderung bis hin zu interdisziplinärer Frühförderung, bei der neben heilpädagogischen Fachkräften auch Therapeuten unterschiedlicher Fachrichtungen einbezogen wurden.
Ende der 1990er Jahre erkannte auch der Gesetzgeber die Vorteile eines interdisziplinären Angebotes zur Versorgung behinderter und von Behinderung bedrohter Kinder und bezog die Frühförderung in das SGB IX ein, jenes Sozialgesetzbuch, welches sich dem Thema "Rehabilitation und Teilhabe" widmet.
Im Jahre 2001 wurde also ein "neues" SGB IX verabschiedet, das der Frühförderung einen gesetzlichen Rahmen gab und Rechtssicherheit schaffen sollte. Hier wurde definiert, dass im Rahmen von Frühförderung eine Komplexleistung angeboten werden soll, die heilpädagogische und medizinisch-therapeutische Leistungen miteinander vereint. Um dies genauer zu regeln, wurde ergänzend zum SGB IX die Frühförderverordnung (FrühV) erlassen, die die Vorgaben des SGB IX präzisiert und vertieft.
Offen blieb in beiden Gesetzestexten die Umsetzung in den Bundesländern, so dass diese genötigt sind, eine(n) entsprechende(n) Rahmenvereinbarung/-empfehlung/-vertrag zu verabschieden. Hierin wird vor allem die Finanzierung der Komplexleistung geregelt, an der sich sowohl die Krankenkassen als auch die örtlichen Sozialhilfeträger beteiligen.
Da die Komplexleistung vorsieht, medizinisch-therapeutische Leistungen einzubeziehen, eröffnet sich im Bereich der Frühförderung auch ein Arbeitsfeld für die Logopädie - besonders dort, wo zuvor ausschließlich heilpädagogische Frühförderung angeboten wurde. Gleichzeitig bringen die gesetzlichen Regelungen Unsicherheiten und Ängste mit sich, zumal nicht allen Beteiligten die Abgrenzung zu benachbarten Versorgungsformen (z. B. ambulante Heilmittelversorgung, Sprachförderung etc.) bekannt ist.
Für LogopädInnen, die im Rahmen der Frühförderung tätig sind bzw. werden wollen oder aber mit Frühförderung in Berührung kommen, obwohl sie in anderen Bereichen tätig sind, bietet die Bundesangestelltenkommission (BAK) bereits seit 2005 die informative Broschüre "LogopädInnen in logopädischer Diagnostik, Therapie und Beratung in Sozialpädiatrischen Zentren und Frühfördereinrichtungen - Information und Positionierung" (siehe vorangehenden Eintrag) an, die inhaltliche und berufspolitische Orientierung und Argumentationshilfe bietet. Die Broschüre wird derzeit überarbeitet und steht Anfang 2008 auf aktuellem Stand zur Verfügung. Ergänzend dazu finden sich nachfolgend die uns vorliegenden Landesrahmenempfehlungen sowie die bereits verfassten dbl-Stellungnahmen. Die noch fehlenden Rahmenempfehlungen und entsprechende Stellungnahmen werden sukzessive ergänzt.