Störungen der Schriftsprache, Lese-Rechtschreibschwäche (LRS)
International wird eine Lese-Rechtschreib-Schwäche (LRS) als "Entwicklungsstörung des Lesens und Schreibens" definiert. In Deutschland werden die Begrifflichkeiten LRS und Legasthenie (auch Entwicklungsdyslexie/dysgraphie) synonym verwendet. Die LRS ist eine Teilleistungsstörung, d.h. das Kind hat bei einer durchschnittlichen oder überdurchschnittlichen allgemeinen Begabung ausschließlich in den Bereichen Lesen und/ oder Schreiben große Schwierigkeiten. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) beschreibt die LRS als eine "Entwicklungsbeeinträchtigung schulischer Fertigkeiten". Wird im Kindesalter die LRS nicht festgestellt und behandelt, so kann sie bis ins Erwachsenenalter fortbestehen.
Beispiele
Zu den Auffälligkeiten im Schulalter gehören u. a.
- Probleme beim Schreiben (z. B. Buchstabenauslassungen oder Vertauschungen, Probleme beim Abschreiben oder ein unharmonisches Schriftbild),
- erschwertes Lesenlernen (z. B. fehlendes Leseverständnis),
- eingeschränkte phonologische Bewusstheit (z. B. Reimen oder Lauterkennung) oder Wahrnehmungsprobleme (z. B. auditive Merkschwäche oder visuelle Differenzierungsschwäche).
Wichtige Vorläuferfunktionen entwickeln sich bereits im Vorschulalter. Voraussetzung für die Entwicklung des Denkens, Lernens und Sprechens ist die Wahrnehmung, d.h. die Aufnahme von Reizen und die Verarbeitung im Gehirn. LRS-Kinder zeigen überdurch-schnittlich häufig Wahrnehmungsprobleme sowie Sprachentwicklungsauffälligkeiten. Unaufmerksamkeit, Clownerie, motorische Unruhe, Frustration, mangelndes Selbst-vertrauen, Bauchschmerzen, Kopfschmerzen oder Übelkeit sind häufige Begleiterschei-nungen. Diese Auffälligkeiten verändern sich trotz vermehrten häuslichen Übens nicht.
Die Ursachen einer LRS sind vielfältig, aber bis heute nicht abschließend geklärt. Genetische Ursachen konnten nachgewiesen werden. Eine nicht altersgerechte Entwicklung der Vorläuferfähigkeiten für den Lese- und Schreiberwerb (z. B. der phonologischen Bewusstheit) werden ebenso wie Umweltfaktoren (z. B. häusliche Lernumgebung oder didaktische Fähigkeiten der Lehrperson) als Ursachen für eine LRS vermutet. Bei einem Verdacht auf LRS sollte immer ein Augenarzt und ein Ohrenarzt aufgesucht werden, um organische Störungen, z. B eine Sehproblematik oder Hör - und Sprachauffälligkeiten als Ursachen auszuschließen. Es wird angenommen, dass Sprachentwicklungsauffälligkeiten und Lese-Rechtschreibschwierigkeiten auf eine gemeinsame Ursache zurückzuführen sind.
Ca. 6-10 % der Gesamtbevölkerung sind von einer LRS betroffen. Eine LRS ist „die am häufigsten vorkommende umschriebene Entwicklungsstörung“ (Costard 2011: 80), es gibt Hinweise dafür, dass Jungen häufiger betroffen sind als Mädchen.
Bei Verdacht auf eine Lese-Rechtschreibschwäche können wissenschaftliche Tests eine genaue Aussage geben. Die KinderpsychiaterIn stellt den allgemeinen IQ-Wert fest und kann eine LRS-Diagnostik durchführen. Des Weiteren bieten die Jugendämter, z. B. psychologische Beratungsstellen, Hilfen, Diagnostika und bei Bedarf eine Kosten-übernahme der Förderung an.
Es gibt nicht „die“ Legasthenie, deshalb gibt es auch nicht „die“ Therapie. Da jede Legasthenie individuell ist, muss auch das Training individuell auf die Bedürfnisse des Kindes abgestimmt werden. Eine Therapie sollte die Bereiche Aufmerksamkeit, Konzentration, Wahrnehmung, Fehlerbearbeitung und Regelwissen berücksichtigen. Merkmale eines optimalen außerschulischen Trainings sind u. a. eine fundierte Ausbildung der TherapeutIn, eine adäquate standardisierte und qualitative Diagnostik, Einzelförderung, Elternberatungen, ein ganzheitliches Training, keine vertragliche Zeitbindung und geeignete Räumlichkeiten. Zu beachten ist außerdem, dass eine Nachhilfe keine zielgerichtete Therapie ersetzt. Eine LRS-Therapie dauert durchschnittlich zwei bis drei Jahre.
Voraussetzung für die Übernahme der Kosten durch das Jugendamt ist, dass das Kind eine „seelische Behinderung“ hat oder diese zu drohen scheint. Das heißt, dass die „geistige Fähigkeit“ oder „seelische Gesundheit“ länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht und daher die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist (§ 2 Abs. 1 SGB IX, Neufassung des § 35a SGB VIII).
Ansonsten muss eine Therapie privat bezahlt werden; Krankenkassen übernehmen keine Kosten.
Bei einem Verdacht auf eine Lese-Rechtschreibschwäche sollten Eltern sich an die LehrerIn und an die SchulpsychologIn wenden. Die Schule hat die Aufgabe, den Kindern den Schriftspracherwerb zu vermitteln. Bei ihr liegt demzufolge bei auftretenden Lese- und Rechtschreibschwierigkeiten auch die Verantwortung, Kinder individuell zu fördern. In den Erlassen der einzelnen Bundesländer, die von Bundesland zu Bundesland verschieden sind, sind die Förderungsmöglichkeiten festgelegt. Unabhängig davon sollten die Kinder einen Nachteilsausgleich (z. B. keine Benotung der Lese- und Rechtschreibleistung, Zeitzugaben bei Arbeiten und Prüfungen, Leistung mündlich abprüfen, Einsatz von Hilfsmitteln wie Computern mit Fehlerkorrektur) in allen Fächern, in denen Lesen und Schreiben erforderlich ist, erhalten. Oftmals ist eine außerschulische Förderung erforderlich. Die Therapie einer Lese-Rechtschreib-Schwäche ist Aufgabe von Experten, z. B. LogopädIn mit Zusatzqualifikationen. Eltern können die Therapie in Abstimmung mit der Schule und der TherapeutIn unterstützen. Da Kinder mit einer LRS häufig seelische Auffälligkeiten zeigen, z. B. Unsicherheiten oder Ängste, ist es wichtig, dass Eltern die Persönlichkeit ihres Kindes festigen. Talente und Fähigkeiten sollten gestärkt werden.
Literaturhinweise
Costard, S. (2011). Störungen der Schriftsprache. Modellgeleitete Diagnostik und Therapie. 2. überarbeitete und erweiterte Auflage, Stuttgart: Thieme
SGB (Sozialgesetzbuch) zum Download: www.sozialgesetzbuch-sgb.de
Springer, L., Wucher, K. (2001). Therapie der Entwicklungsdyslexie und -dysgraphie (Lese-Rechtschreib-Schwäche). In: Böhme, G. (Hrsg.). Sprach-, Sprech-, Stimm- und Schluckstörungen. Band 2: Therapie. 3. aktualisierte und erweiterte Auflage, München: Urban & Fischer, S. 48-66.
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