Cerebral bewegungsgestörte Kinder
Kinder mit cerebraler Bewegungsstörung (synonym: Cerebralparese) leiden in erster Linie an eingeschränkten motorischen Fähigkeiten aufgrund einer frühkindlichen Hirnschädigung (0 - 2 Jahre). Je nach Hirnschädigung kann die Bewegungsstörung spastisch (mit zu hoher, eher starr wirkender Muskelspannung) sein oder mit Störungen im Bewegungsablauf (Athetose) verbunden sein. Manche Kinder haben vor allem Schwierigkeiten bei der Koordination von Bewegungen (Ataxie) oder ihre Bewegungen gelingen nur schwer oder gar nicht wegen einer zu schlaffen (hypotonen) Muskelspannung. Am häufigsten kommen spastische Bewegungsstörungen vor, die z.B. beinbetont, halbseitig oder auch ganzkörperlich auftreten können
Ein Kind mit einer beinbetonten spastischen Bewegungseinschränkung (spastische Diplegie) leidet darunter, dass die Beine nur mit großen Schwierigkeiten abgespreizt werden können, weil die Muskeln durch die hohe Körperspannung (erhöhter Muskeltonus) die Beine zu stark nach innen ziehen. Dies ist schon im frühen Alter an der Überstreckung des Fußes (Spitzfußstellung) deutlich zu sehen.
Aufgrund des erhöhten Muskeltonus haben Kinder einer spastischen Bewegungsstörung es sehr schwer Laufen zu lernen, da sie mit den Beinen nur unzureichend koordinierte und dosierte Bewegungen ausführen können.
Cerebrale Bewegungsstörungen sind die Folge von Hirnschädigungen, die während der Schwangerschaft (pränatal) oder auch während (perinatal) und nach der Geburt (postnatal) auftreten können. Häufig lässt sich nicht klären, warum es zu einer frühen Hirnschädigung gekommen ist. Meist werden Sauerstoffmangel oder Infektionen als Ursache angenommen, aber auch Vergiftungen (z.B. bei Medikamentenmissbrauch) und Verletzungen (z.B. Schädelfrakturen) können eine Hirnschädigung bewirken. Eine Hirnschädigung kann die normale Entwicklung eines Kindes, sowohl motorisch (Bewegung) als auch sensorisch (sehen, hören, schmecken, riechen) behindern. Wenn ein Kind nicht frühzeitig physiotherapeutisch (krankengymnastisch) versorgt wird, kann sich die Störung verstärken.
Die Cerebralparese kommt in 2-3 Fällen pro 1000 Lebendgeborenen vor und ist der häufigste Grund einer spastischen Bewegungsstörung bei Kindern.
Die Entwicklung eines Kindes wird in Deutschland schon in der Schwangerschaft durch Vorsorgeuntersuchungen kontrolliert. Ergeben sich dabei oder auch während und nach der Geburt Zeichen für eine abweichende Entwicklung (unter anderem Anzeichen auf Hirnschädigungen), werden die Kinder häufiger als andere Kinder pädiatrisch oder neuropädiatrisch untersucht. Die körperliche manchmal auch apparative Untersuchung (z.B. Messung der elektrischen Muskelaktivität: EMG) des Kindes soll die individuellen Fähigkeiten der Bewegungsabläufe des Kindes genauer beurteilen (z.B.: Reflexaktivität, Tonus, Symmetrie etc.). Da cerebral bewegungsgestörte Kinder sehr häufig auch Auffälligkeiten in ihrer Sprachentwicklung zeigen, ermöglicht eine frühe logopädische Diagnostik die Einschätzung der kommunikativen Entwicklung des Kindes, die als Grundlage für die Beratung der Eltern dient. Aus der Diagnostik geht hervor, in wie weit betroffene Kinder altersentsprechende verbale und nonverbale Fähigkeiten entwickeln können.
Ein wesentliches Ziel der logopädischen Therapie ist es, Kinder so früh wie möglich in ihrer Kommunikationsentwicklung zu unterstützen. Je nachdem, in welcher Weise die motorischen Voraussetzungen für das Sprechen eingeschränkt sind, ist ein Kind sehr unterschiedlich in der Lage, verbal verständlich zu kommunizieren. Damit die Bedingungen möglichst optimal sein können, kann die logopädische Therapie schon im frühen Babyalter einsetzten, um z.B. die Nahrungsaufnahme zu normalisieren. Daneben steht die physiologische Sprachentwicklung, d.h. die Unterstützung der der Laut-., Wort- und Satzentwicklung, aber auch die (artikulatorische) Verständlichkeit der gesprochenen Sprache im Vordergrund der Behandlung. Leider haben Kinder mit cerebraler Bewegungsstörung häufig massive Einschränkungen im mundmotorischen Bereich, so dass ihnen präzise Artikulationsbewegungen sehr schwer fallen. In diesem Fall ist es sinnvoll, die verbale Kommunikation mit anderen Mitteln evtl. zu ersetzen (z.B. durch elektronische Hilfsmittel) oder durch andere Zeichen als Laute zu unterstützen (z.B. Bliss-Symbole). Diese Therapieform wird auch als "unterstützte Kommunikation" bezeichnet. Eine enge Zusammenarbeit zwischen Therapeuten und Eltern eines cerebral bewegungsgestörten Kindes ist sehr wichtig und verbessert die Effektivität der Therapie.
Eltern haben oft schon vertrauenswürdige Ansprechpartner, wenn die Diagnose cerebrale Bewegungsstörung fest steht (Kinderärzte, Therapeuten). Trotzdem kann es sehr hilfreich sein, Kontakt zu anderen Eltern mit behinderten Kindern zu knüpfen und z.B. Erfahrungen mit verschiedenen Behandlungsmethoden auszutauschen. Sozialpädiatrische Zentren (SPZ) oder auch Frühfördereinrichtungen bieten neben einer Vielzahl medizinisch-therapeutischer Leistungen (Pädiatrie, Logopädie, Ergotherapie, Physiotherapie, Musiktherapie …) auch Unterstützung für Eltern an, teilweise kann hier auch ein Kontakt zu einer ortsansässigen Selbsthilfegruppe geknüpft werden, Interdisziplinär kann Eltern in „sozialpädiatrischen Zentren“ von größeren Städten weiter geholfen werden. Auch die therapeutischen Berufsverbände, z.B. Deutscher Bundesverband für Logopädie (dbl), Deutscher Verband für Physiotherapie (ZVK), und Behindertenorganisationen, z.B. Bundesverband für körper- und mehrfach behinderten Menschen e.V., können Hilfestellungen anbieten.
Stiller, U. (2006). Therapie zerebraler Bewegungsstörungen. In: Böhme, G. (Hrsg). Sprach-, Sprech-, Stimm- und Schluckstörungen. Band 2: Therapie. 4. aktualisierte und erweiterte Auflage, München: Elsevier, S. 279-290.
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