Aphasie
Eine Aphasie ist eine erworbene zentrale Sprachstörung, die durch Schädigung des Gehirns hervorgerufen wird. Alle Bereiche und Modalitäten der Sprache können in unterschiedlichem Ausmaß beeinträchtigt sein. Die Lautstruktur (Phonologie), der Wortschatz (Lexikon), die Bedeutung (Semantik) und der Satzbau (Syntax). Sowohl die rezeptiven (Sprachverständnis) als auch die expressiven (Sprachproduktion) Fähigkeiten können betroffen sein. Somit können das Sprechen und Verstehen der Lautsprache oder auch das Lesen und Verstehen geschriebener Sprache erschwert und je nach Schweregrad der Beeinträchtigung sogar kaum noch möglich sein. Diese zumeist plötzlich auftretenden sprachlichen Defizite haben häufig weitreichende und teilweise lang andauernde Folgen für das familiäre, soziale und berufliche Leben der Betroffenen und ihrer Angehörigen.
Aphasien werden auf Grund der Symptomatik in verschiedene Syndrome eingeteilt. Als schwerste Beeinträchtigung gilt die Globale Aphasie mit Sprachautomatismen (z.B. immer wiederkehrende Silbenfolgen wie "de de de", Wörter oder Floskeln, die nicht in den Gesprächskontext passen) und stark eingeschränktem, häufig dysarthrischem Sprachfluss. Die Kommunikation ist dann sehr schwer bis schwer beeinträchtigt.
Die Wernicke Aphasie ist geprägt von Satzverschränkungen und Satzteilverdopplungen (Paragrammatismus, z.B. "Verstehen Sie mich gut verstanden?") sowie Paraphasien und Jargon (z.B. "ja das wird ein anderer Mitfahrer zum grauen war das äh ein Mitteiler zum euch also ein wirklich Blauer oh" als Antwort auf die Frage "Warum sind Sie zu uns in die Klinik gekommen?") Die Sprachmelodie ist unauffällig, der Sprechfluss ist jedoch häufig überschießend. Die Eigenwahrnehmung für diese sprachlichen Defizite ist häufig eingeschränkt und die Kommunikation schwer bis mittelschwer beeinträchtigt.
Die Broca Aphasie ist geprägt durch agrammatische Sprache (Telegrammstil, z.B. "Auf dem Bild eine Frau äh zwei Kinder es ist ein Junge und ein Mädchen äh in der Küche äh die Frau Teller waschen und äh sind gerade das Wasser über den Rand äh sprudeln.") und eine mögliche Sprechapraxie. Der Sprechfluss ist eingeschränkt und die Kommunikation schwer bis mittelgradig beeinträchtigt. Als augenscheinlich leichteste Beeinträchtigung wird die Amnestische Aphasie beschrieben. Hier liegen vor allem leichte Wortfindungsstörungen vor, der Sprachfluss erscheint unauffällig jedoch zeigen sich Suchverhalten und Satzabbrüche, wobei die Kommunikation mittelgradig bis leicht gestört ist. Zudem gibt es einzelne Sonderformen.
Aktuell wird dieser Syndromansatz in der Forschung kritisch diskutiert. Man geht zur detaillierten Einzelfallbeschreibung und zur Einteilung in flüssige und unflüssige Aphasien über. Als veraltet gelten die Bezeichnungen motorische und sensorische Aphasie.
Hirnschädigungen unterschiedlicher Ätiologie (Ursache) können eine Aphasie zur Folge haben. Bei Erwachsenen ist eine zerebrale Durchblutungsstörung (Schlaganfall/vaskuläre Ursache) mit mehr als 80% die Hauptursache. Weitere Ursachen sind das Schädelhirntrauma, Tumore oder Entzündungen des Gehirns.
Schätzungsweise 80.000 Menschen in Deutschland erleiden pro Jahr eine zerebrovaskulär (durch Schlaganfall) bedingte Aphasie. Bei mehr als 1/3 der Betroffenen bildet sich die Aphasie nicht vollständig zurück.
Unmittelbar nach der Hirnschädigung in der Akutphase (dauert ca. 4-6 Wochen), können bereits erste diagnostische Maßnahmen ergriffen werden, um die verbliebenen Fähigkeiten zu erfassen und die Kommunikation zu optimieren. Eine fundierte logopädische Diagnostik erfolgt gegen Ende der Akutphase. Es werden die Fähigkeiten bzw. Beeinträchtigungen in den Modalitäten Sprechen, Verstehen, Lesen, Schreiben überprüft. Neben einer Analyse der Spontansprache (gesprochene Sprache) werden standardisierte Testverfahren (z.B. Aachener Aphasie Test, Huber et al., 1983) verwendet. Differentialdiagnostisch muss die Aphasie von einer möglicherweise zeitgleich auftretenden Dysarthrie, Sprechapraxie oder anderen Defiziten, die die Sprache beeinflussen können, abgegrenzt werden.
Das Ziel der Aphasietherapie ist die Verbesserung der sprachlich-kommunikativen Fähigkeiten. Die Verminderung der aktiven Teilhabe am sozialen Leben soll verhindert werden. Auf Basis der Diagnostik werden für jeden Patienten individuelle Therapieziele formuliert, deren Erreichen mit Hilfe quantitativer oder qualitativer Verfahren nachgewiesen werden kann.
Verschiedene Methoden kommen in der logopädischen Therapie zum Einsatz. Unter anderem werden beeinträchtigte rezeptive und expressive sprachliche Fähigkeiten aufgebaut und fehlerhafte Sprache modifiziert bzw. korrigiert. Automatismen (Es wird ungewollt immer wieder eine Silbenkette, ein Wort oder eine Wortfolge geäußert, z.B. "teken teken teken"; "ich weiß nicht") und Perseverationen (Geäußertes wird ungewollt mehrfach wiederholt, z.B. Untersucher: "In welcher Stadt sind Sie geboren?", Patient: "Düsseldorf", U: "Und in welchem Monat sind sie geboren?" P: "Ja, also in Düsseldorf", U: "Können Sie das genaue Datum sagen?" P: "Hm also ähm Düsseldorf") werden gehemmt. Kompensatorische Kommunikationsmöglichkeiten (z.B. Gesten, Zeichnen, Symbole etc.) können ebenfalls in der Therapie und dann auch im Alltag zum Einsatz kommen.
Da die Therapie immer auf eine Verbesserung der Kommunikation im Alltag zielt, sind der Einsatz von Rollenspielen, Dialogtraining und die Einbeziehung von Angehörigen ein wesentlicher Bestandteil. Je nach Symptomatik können auch alternative Kommunikationsmittel (z.B. Computer) eingesetzt werden. Zur logopädischen Therapie gehört auch immer eine umfassende Angehörigenberatung, da eine gute Aufklärung und Information der Bezugspersonen des Betroffenen einen wesentlichen Beitrag zur Optimierung der Kommunikation im Alltag leistet. Empfehlungen zur Therapiefrequenz finden sich in den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN).
Bei Menschen mit Aphasie können alle Bereiche der Kommunikation - Verstehen, Sprechen, Lesen und Schreiben – beeinträchtigt sein. Die Betroffenen haben aber nach wie vor Gedanken, Wünsche, Erfahrungen und Wissen, das sie äußern und in die Kommunikation mit anderen Menschen einbringen möchten. Die Gesprächspartner können Menschen mit Aphasie bei dieser Absicht unterstützen.
Seien Sie offen im Gespräch für nichtsprachliche Mittel zur Übermittlung von Informationen. Auch mit Gesten oder Zeichnungen, durch das Zeigen von Bildern oder durch das Aufschreiben einzelner Wörter können Betroffene Informationen vermitteln. Dabei ist es immer wichtiger, dass der gewünschte Inhalt vermittelt werden kann, als dass die Form des Gesagten richtig ist. Versuchen Sie eine ruhige Atmosphäre für Gespräche zu schaffen. Menschen mit Aphasie brauchen Zeit beim Sprechen; Zeitdruck wirkt sich oft negativ aus. Auch Umgebungsgeräusche können störend sein, so ist es zum Beispiel gut, das Radio bei einer Unterhaltung auszuschalten. Gespräche mit mehreren Personen sind für viele Betroffene schwieriger als Gespräche mit nur einer Person. Haben Sie ihren aphasischen Gesprächspartner nicht verstanden, fragen Sie nach bzw. versichern Sie sich, dass Sie richtig verstanden haben. Hilfreich können dann Entscheidungsfragen sein, die der Betroffene mit Ja oder Nein beantworten kann.
- Versuchen Sie selbst im Gespräch in kurzen und einfachen Sätzen zu sprechen und schwierige Wörter (z.B. Fremdwörter) zu vermeiden, damit ihr aphasischer Gesprächspartner Sie besser verstehen kann.
- Verwenden auch Sie Gesten, Mimik und Schriftsprache (z.B. Aufschreiben von Schlüsselwörtern), um das Verstehen über andere Kanäle zu sichern. Verfallen Sie dabei aber nicht in "Babysprache".
- Im Gespräch mit mehreren Personen können Angehörige den Betroffenen unterstützen und für ihn sprechen bzw. seine Worte ergänzen, jedoch nur, wenn dies vom Betroffenen gewünscht wird.
- Seien Sie nicht vorschnell und übernehmen Sie nicht vollständig die Kommunikation für den Betroffenen. Fordern Sie den Betroffenen nicht auf falsch gesprochene Wörter korrekt zu wiederholen.
Ansprechpartner sind der behandelnde Arzt/Neurologe und die Logopädin bzw. Sprachtherapeutin. Sie bieten je nach Spezialisierung kompetente Hilfe und Unterstützung bei Fragen. In einer Aphasie-Selbsthilfegruppe finden Betroffene und Angehörige weiteren Rat und Unterstützung. Beim Bundesverband für die Rehabilitation der Aphasiker (www.aphasiker.de) gibt es neben den Adressen der Selbsthilfegruppen umfangreiches Informationsmaterial.
Huber, W., Poeck, K, Springer, L. (2006): Klinik und Rehabilitation der Aphasie. Eine Einführung auch für Angehörige und Betroffene. Stuttgart: Thieme
Huber, W., Poeck, K., Weniger, D. (2006): 4 Klinisch-neuropsychologische Syndrome, Aphasie. In: Hartje, W., Poeck, K. Klinische Neuropsychologie. Stuttgart: Thieme
Ziegler, W. (2012): Qualitätskriterien und Standards für die Therapie von Patienten mit erworbenen Störungen der Sprache (Aphasie) und des Sprechens (Dysarthrie) der Gesellschaft für Aphasieforschung und -behandlung (GAB) und der Deutschen Gesellschaft für Neurotraumatologie und Klinische Neuropsychologie (DGNKN) , 5. Auflage, Stuttgart: Thieme
Broschüre des Bundesverband für die Rehabilitation der Aphasiker
Lauer, N., Grötzbach, H., Abel, S. (2013): Wort für Wort zurück ins Leben - Beispiele für die Aphasie, ICF-basierte Therapieziele erstellen
Die Broschüre kann auch kostenfrei über die Geschäftstelle des Bundesverband für die Rehabilitation der Aphasiker e.V. (www.aphasiker.de) bezogen werden.
dbl-Materialien
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- Fachzeitschriften:
- Aphasiology - Aphasiology is concerned with all aspects of language impairment and related disorders resulting from brain damage
- Aphasie und verwandte Gebiete - Bulletin der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft für Aphasie
- Brain and Language - An interdisciplinary journal
- Schlaganfall Magazin - Zeitschrift für Freunde und Förderer der Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe
- Aphasie und Schlaganfall - Zeitschrift für Rehabilitation und Selbsthilfe - Organ des Bundesverbandes für die Rehabilitation der Aphasiker e.V.
- Fachorganisationen:
- Gesellschaft für interdisziplinäre Spracherwerbsforschung und kindliche Sprachstörungen im deutschsprachigen Raum e.V.
- Aphasie Suisse - Fachgesellschaft und Betroffenenorganisation der Schweiz
- DGN - Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V.
- DGNKN - Deutsche Gesellschaft für Neurotraumatologische und klinische Neuropsychologie e.V.
- GAB - Gesellschaft für Aphasieforschung und -behandlung
- National Aphasia Association, USA
- Zentrum für Aphasie und Schlaganfall
- Institute:
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