Funktionelle Schluckstörungen (Myofunktionelle Störungen)
Im Rahmen einer funktionellen Schluckstörung im Erwachsenenalter können mehrere Symptome auftreten: inkompletter Mundschluss/Mundatmung, auffällige Lippen-/Zungenstruktur, unphysiologische Zungenruhelage und Vorverlagerung der Zunge beim Schlucken bei insgesamt unausgeglichener Muskelbalance im Mund-, Gesichts- und Halsbereich. Es können sich Zähneknirschen, Zahnimpressionen, Entzündungen des Zahnfleischs/Zahnbetts, Kiefergelenkspathologien und ein Schmerzfunktionssyndrom zeigen. Begleitend können Artikulationsstörungen (häufig das /s/ und /sch/ betreffend) sowie Zahn- und Kieferfehlstellungen auftreten.
Eine funktionelle Schluckstörung tritt meist bereits im Kindesalter auf und verfestigt sich - bei Nichtbehandlung - im Erwachsenenalter. Ausprägung und Symptome können dabei variieren. Als mögliche Ursachen gelten ein falsch erlerntes Schluckmuster, wiederkehrende HNO-Erkrankungen, anhaltend behinderte Nasendurchgängigkeit, ungünstige erworbene Gewohnheiten (Habits) wie Nägelkauen sowie eine unphysiologische Körper- und Kopfhaltung.
Eine Studie von Fletcher et al. (1961) untersuchte 1615 Kinder zwischen 6 und 18 Jahren. Zeigten 52% der 7-Jährigen einen Zungenvorstoß beim Schlucken, nahm der Anteil mit zunehmendem Alter ab und lag bei den 18-Jährigen bei 21%.
Aktuellere Studien ähnlicher Probandenzahl liegen nicht vor.
Vor dem Hintergrund einer fachärztlichen Untersuchung erfolgt eine ausführliche Anamnese zur Erhebung möglicher Ursachen und aufrechterhaltender Faktoren. Die anschließende logopädische Diagnostik beinhaltet unter anderem die Überprüfung des Zahnstatus, des Kauens und der Artikulation. Überprüft werden außerdem die Ruhepositionen der Lippen und Zunge, die orofaziale Muskelfunktion sowie Koordination/Kraftdosierung der Zunge beim Schlucken.
Verschiedene Konzepte zur individuellen Behandlung umfassen unter anderem Körperaufrichtungs-, Muskelfunktions- und Regulationsübungen, Abbau von Habits, Erarbeitung der physiologischen Zungenruhelage sowie des korrekten Schluckmusters/der korrekten Artikulation. Unterstützend können Entspannungstechniken für den Mund- und Gesichtsbereich eingesetzt werden. Eine Behandlung erfolgt in der Regel 1 bis 2 Mal pro Woche.
Über die Notwendigkeit einer Behandlung entscheiden Fachleute aus dem medizinischen und therapeutischen Bereich. Sprechen Sie deshalb gezielt Ihren Zahn-/HNO-Arzt/Kieferorthopäden an oder melden Sie sich bei einer spezialisierten logopädischen Praxis vor Ort und schildern Ihre Symptomatik (Logopädensuche).
Definition
"Orofaziale Muskelfunktionsstörungen und die daraus resultierenden Sprech- und Schluckstörungen beruhen vorwiegend auf funktionellen Veränderungen infolge eines muskulären Ungleichgewichts im Mund-, Gesichts-, Hals- und Nackenbereich." (Böhme 2003: 83)
Behandlungsleitlinie
Liegt derzeit nicht vor.
Verordnung nach Heilmittelkatalog
Diagnosegruppe SP3 (Muster 14)
Die Verordnung von Sprechtherapie ist gesetzlich geregelt. Weiterführende Hinweise dazu finden Sie auf der Seite "Logopädie wird verordnet".
Darüber hinaus können auch Kieferorthopäden und Zahnärzte eine Verordnung auf der Grundlage von Muster 16 ausstellen.
Literaturhinweise
Bigenzahn, W. & Denk, D. M. (1999). Oropharyngeale Dysphagien. Ätiologie, Klinik, Diagnostik und Therapie von Schluckstörungen. Stuttgart: Thieme
Böhme, G. (2003). Sprach-, Sprech-, Stimm- und Schluckstörungen. Band 1: Klinik. 4. Auflage, München: Urban & Fischer
Fischer-Voosholz, M. & Spenthof, U. (2002). Orofaziale Muskelfunktionsstörungen: Klinik – Diagnostik – ganzheitliche Therapie. Heidelberg: Springer
Fletcher, S. G., Casteel, R. L. & Bradley, D. P. (1961). Tongue-Thrust - Swallow, Speech-Articulation and Age. In: Journal of Speech and Hearing Disorders, 26, 201-208.
Kittel, A. M. (2012). Myofunktionelle Störungen. Ein Ratgeber für Eltern und erwachsene Betroffene. Idstein: Schulz-Kirchner
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Links
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