Neuro-degenerative Erkrankungen am Beispiel Morbus Parkinson
Unter einer neurodegenerativen Erkrankung wird eine langsam fortschreitende Erkrankung verstanden, bei der Nervenzellen abgebaut werden. Sie kann erblich bedingt sein. Zu den degenerativen Erkrankungen zählen u.a. Amyotrophe Lateralsklerose (ALS), Multiple Sklerose (MS), Chorea Huntington oder Morbus Parkinson. Die Erkrankungen haben Auswirkungen auf das Sprechen (Artikulation) und die Stimme. Am Beispiel von Morbus Parkinson wird aufgezeigt, in welcher Weise die Erkrankung Auswirkungen auf die Stimm- und Artikulationsfähigkeiten des Patienten haben und welche logopädischen Behandlungsmöglichkeiten bestehen.
Die Parkinson-Erkrankung gehört zu den häufigsten degenerativen Erkrankungen. Das 50. – 60. Lebensjahr ist der häufigste Erkrankungszeitpunkt, aber sie kann auch schon im jugendlichen Alter einsetzen. Im Verlauf der Erkrankung tritt zu 90% eine Dysarthrie (Sprechstörung), auf. Charakteristisch dafür ist die leiser werdende, monotone Sprechweise verbunden mit ungenauen, kleinen, daher bisweilen schnellen Sprechbewegungen. Alle am Sprechablauf beteiligten Muskelgruppen, die der Atmung, der Stimmgebung, der Lautbildung, werden im Bewegungsfluss steifer und folglich kleiner.
Hierarchie der Dysarthrie Symptome bei Morbus Parkinson (Darley et al. 1975)
- monotone Sprechstimmlage
- nivellierte Akzentuierung
- invariante Lautstärke
- unpräzise Konsonantenbildung
- inadäquate Pausenlängen
- kurze Passagen mit überhastetem Sprechen
- rauhe Stimmqualität
- kontinuierlich behauchter Stimmklang
- tiefe Stimmlage
- wechselndes Sprechtempo
(Übersetzung Ackermann in Nebel/Deuschl, 2008)
Die Reihenfolge der Symptome verweist auf die Häufigkeit des Auftretens und die Schwere der Erkrankung, da die Symptome sich addieren.
Die Kommunikation wird durch eine leise Stimme und überhastetes Sprechen beeinträchtigt.
Infolge der kleiner werdenden Bewegungen werden die betroffenen Patienten zunehmend leiser und die Laute ungenau gebildet, bis sie kaum voneinander zu unterscheiden sind. Ramig und Mitarbeiter beobachteten, dass die Verständlichkeit der Parkinson-Patienten in erster Linie durch die geringe Lautstärke beeinträchtigt ist. Die leiser werdende Stimme ist in der Regel das erste Symptom der Dysarthrie. Der langsam einsetzende Prozess lässt oft den Beginn der Dysarthrie unbemerkt und es erfolgt eine Gewöhnung an die leise Stimme sowohl auf der Seite des betroffenen Patienten als auch seitens der Gesprächspartner. Die kleiner werdenden Sprechbewegungen führen oft auch zu erhöhtem Sprechtempo. Zusätzlich nimmt die Fähigkeit der Patienten ab, im Augenblick des Sprechens die Lautstärke oder das Sprechtempo zu bemerken und zu beeinflussen.
Folgen der Dysarthrie:
- sozialer Rückzug
- verringerter kommunikativer Austausch
- häufige Missverständnisse
- kommunikative und emotionale Verarmung
- zunehmende Depression.
Die medikamentöse Behandlung und die tiefe Hirnstimulation verbessern das Sprechen nur begrenzt: Die Verringerung des Tremors (Zitterns) führt in der Anfangsphase von Medikation und/oder Stimulation zu einer stabileren Stimme. Wird im Verlauf die Dosis oder die Stimulation erhöht, was oft zu besserer Beweglichkeit führt, kann sich dies negativ auf das Sprechen auswirken: Unter der Stimulation verweist eine stärker verwaschene Sprechweise oder eine gepresst heisere, angestrengt klingende Stimme auf eine ungünstige Einstellung durch der Medikamente.
Nach Untersuchung der Lautstärke und ihrer Steigerungsfähigkeit, Artikulationsgenauigkeit, Sprechtempo sowie Fragen zur Lebensqualität wählt der Therapeut das für den jeweiligen Patienten voraussichtlich effektivste Behandlungsverfahren aus.
Stimmtherapie "Sei laut!": Während der Behandlung nach dem Lee Silverman Voice Treatment (LSVT) steigert der Patient systematisch die Lautstärke hin zu einer normal lauten, kraftvollen Stimme. Aufgrund täglicher Übungsaufgaben und hierarchisch aufgebauten Anwendungsschritten für den Alltag kann die wieder aktivierte, kraftvolle Stimme im Gespräch eingesetzt werden. Unter der Devise „Sei laut“ lernt der Patient, im Alltag sich selbst den Impuls zu geben, laut zu sprechen. 4 Wochen mit 4 Therapien pro Woche reichen im frühen Krankheitsverlauf aus, um eigenständig weiter zu arbeiten und im Alltag hinlänglich laut zu sprechen. Selbstverständlich hängt dies auch vom Krankheitsstadium ab. Je früher die Behandlung einsetzt, umso besser ist das Ergebnis, umso aufmerksamer sind Patient und Angehörige für erneutes Absinken der Lautstärke. Ist die Verständlichkeit spürbar betroffen und sind auch die kognitive Fähigkeiten verringert oder treten Halluzinationen auf, führt die Übung nur zu einem Mindestmaß an Verbesserung, dann kann vielleicht nur ein einzelnes wesentliches Wort laut gesagt werden. Ein früher Therapiebeginn und Auffrischungen bei nachlassender Stimmkraft verbessern die Chancen für erfolgreiche Kommunikation.
Hilfsmittel: Stimmverstärker funktionieren wie ein Mikrophon mit Lautsprecher in Kleinformat und ermöglichen bei gut erhaltener Lautbildung eine erfolgreiche Kommunikation. Sie verlangen jedoch technische Kompetenz von Patienten und Umfeld. Umgang und Einsatz mit einem Stimmverstärker erfordert neben der Erprobung und Anpassung eine Zeit der täglichen Übung. Einfach und erfolgreich ist das sog. Tastbrett von Nancy Helm (Bild). Um das Sprechtempo zu verringern, wird bei jedem Wort zwischen die Markierung getippt (wie auf einer Leiter). Bei systematischer Übung (täglich 2-3 Wochen) auch mit den Angehörigen kann die Verständlichkeit verbessert werden. Allerdings muss das „Tastbrett“ konstant verwendet werden. Tastbrett und Stimmverstärker sind Hilfsmittel, die immer eingesetzt werden müssen. Sie führen nicht zu einer Eigenkontrolle des Sprechens.
Täglich Üben hilft: Jedes Verfahren erfordert einen Lernprozess, der für alle Parkinson-Patienten aufgrund des Dopaminmangels schwierig ist. Deswegen erfordert jedes Verfahren eine intensive d. h. tägliche Übungsphase über einen relativ kurzen Zeitraum (4 Wochen). Die eigenständige Übung erfordert anfangs tägliche Rückkoppelung, um das Lernen von Fehlern zu vermeiden. Nur eine gesicherte Bewertung der Lautstärke oder des Sprechtempos kann zu einer erfolgreichen Kommunikation führen.
Mehr über Entstehung, Verlauf, Beschwerden und medizinische Behandlung ist nach zu lesen unter www.kompetenznetz-parkinson.de. Anregungen zum Umgang mit der Erkrankung, Austausch mit anderen Patienten und Angehörigen finden sich unter: www.parkinson-vereinigung.de.
Zertifizierte Therapeuten im In- und Ausland finden sich auf : http://www.lsvtglobal.com, zertifizierte Logopäden in Deutschland findet man in der Logopädensuche.
Bertelsmann-Stiftung (2013). Was weiß und denkt die Bevölkerung über Alzheimer und andere Demenz-Erkrankungen.Gesundheitsmonitor 3, Broschüre zum Download: (PDF) Was weiß und denkt die Bevölkerung über Alzheimer und andere Demenz-Erkrankungen?
Darley FL, Aronson AE, Brown JR. (1975). Motor Speech Disorders. Philadelphia: W.B. Sanders
Nebel A, Deuschl G. (2008). Dysarthrie und Dysphagie bei Morbus Parkinson. Symptome, Diagnostik, Therapie. Stuttgart Thieme
Ziegler, W., Vogel, M. (2010). Dysarthrie verstehen - untersuchen - behandeln. Stuttgart: Thieme
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